Roll- und Luftwiderstand mittels Leistungsmessung bestimmen

Abhängigkeit des Leistungsbedarfs von Rollwiderstand, Luftwiderstand und Geschwindigkeit

Ein HPV, welches gleichmässig auf ebener Strecke rollt, muss ausschliesslich Luftwiderstand und Rollwiderstand überwinden. Die Anteile dieser beiden Kräfte am Gesamtwiderstand des Fahrzeuges verändern sich abhängig von der Geschwindigkeit; während die Rollwiderstandskräfte gleich bleiben, wächst der Luftwiderstand im Quadrat.

für den Rollwiderstand gilt: FR = m * g * cR (1)
dabei bedeutet: FR : Rollwiderstandskraft [kg m s-2], m : Gesamtmasse HPV und Fahrer [kg], g : Erdbeschleunigung [m s-2], CR : Rollwiderstandskoeffizient []

für den Luftwiderstand gilt: FW = 1/2 * A * cD * rho * v2 (2)
dabei bedeutet: FW : Luftwiderstandsfraft [kg m s-2] ; A : die Luftwiderstandsfläche [m2], cD : Luftwiderstandskoeffizient [], rho : Dichte der Luft [kg m-3], v : Geschwindigkeit [m/s]

Der Leistungsbedarf bei einer bestimmten Geschwindigkeit ergibt sich aus der Summe der Fahrwiderstände multipliziert mit der Geschwindigkeit:

P = (FR + FW) v (3)

Setzt man nun die Gleichungen (1) und (2) in (3) ein so ergibt sich ein Ausdruck (4), der detailliert die Zusammenhänge zwischen Rollwiderstand, Luftwiderstand, Geschwindigkeit und benötigter Leistung beschreibt:

P = m * g * cR * v + 1/2 * A * cD * rho * v3 (4)

Methoden zur Bestimmung des Rollwiderstandes

Falls einer der beiden Widerstandskoeffizienten - oft ist es der Rollwiderstandskoeffizient - und die Leistung bei einer bestimmten Geschwindigkeit bekannt sind, lässt sich der andere Koeffizient mittels der Gleichung (4) berechnen. Sind einmal beide Koeffizienten, cR und cW, an einem Fahrzeug bestimmt , so lässt sich der entsprechende Leistungsbedarf bei beliebigen Geschwindigkeit vorauszusagen. Was aber, wenn man cR nicht kennt? Schliesslich (oder vielleicht glücklicherweise) ist er ja nicht auf jeder Reifenpackung angeschrieben. Durch welche Methoden kann man ihn bestimmen?

Ausrollversuche sind eine kostengünstige Möglichkeit. Dazu benötigt man aber eine längere Messstrecke (ca. 50 m), die möglichst windgeschützt und absolut eben sein muss.

Rollentests setzen eine geeignete Apparatur (grosse Rolle oder Rollband) voraus. Die Resultate sind zwar meist sehr genau, aber nur bedingt praxistauglich, weil die tatsächliche Strassenbelag höchstens ansatzweise simuliert werden kann.

Linearisierung des Fahrtwiderstandes könnte man die Methode nennen, welche einen graphischen Ansatz verfolgt. Sie vereinfacht das Problem, indem die wirkenden Kräfte (Luftwiderstand und Rollwiderstand) als Y-Werte nicht über der Geschwindigkeit, sondern über der Geschwindigkeit im Quadrat eingezeichnet werden. Dadurch wird der Kurvenverlauf des Fahrtwiderstandes linear. Diese Methode soll nachfolgend kurz beschrieben und mit einigen realen Messungen illustriert werden:

Testfahrten und Datenerfassung

Mit demselben Fahrzeug werden bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten aber sonst gleichen Bedingungen mehrere Fahrten absolviert. Dabei wird die momentane Leistung und die dazugehörende Geschwindigkeit mit einem Leistungsmesser, einem sog. Powermeter (SRM, PowerTap, etc.) kontinuierlich aufgezeichnet und später die Durchschnitte pro Fahrt errechnet. Mindestens 3 oder mehr Einzelfahrten bilden eine Testserie, welche schliesslich Auskunft über Roll- und Luftwiderstand eines HPVs geben kann. Als Teststrecke eignen sich ebene Rundstrecken wie Radrennbahnen oder Dreieckskurse, weil dadurch der Einfluss von Höhe und Wind am wenigsten ins Gewicht fällt.

In der nachfolgenden Tabelle sind 6 Messserien aufgelistet. 1, 2, 4, 5 und 6 wurden auf der offenen Radrennbahn Oerlikon (333 m Rundenlänge) gefahren. Für die einzelnen Fahrten von 10 Minuten Dauer wurden Geschwindigkeiten von jeweils 10 , 20, 40 und allenfalls 45 km/h gewählt. Fahrten von 10 und 20 km/h wurden jeweils im Innenraum der Rennbahn, alle anderen auf der Piste gefahren.
Die Messserie 3 entspricht der Messung von Bernhard Böhler, der die Werte auf einer öffentlichen Strasse ermitteln konnte. (Die Werte wurden vormals schon publiziert).

Testserieennummer,
Fahrzeug, Verschalung,
Reifen
p
(Leistung, gemessen)
[Watt]
v
(Geschw., gemessen)
[km/h]
v**2
(Geschw.
im Quadrat)
[m2/s2]
P/v
(=Gesamt
widerstandskraft)
[kg m s-2]
1. Birk Comet CH, UV,
v: Conti GP 406-28, spez
h: Conti Gatorskin 622-28
11 11.1 9.5 9.9
  44 21 34 20.9
  199 40 123.5 49.6
  269 45.2 157.6 59.3
2. Birk Comet CH, UV
v: Conti GP 406-28, spez
h: Conti Gatorskin 622-28
11 10.6 8.7 10.3
  38 20.3 31.8 18.7
  37 20.5 32.4 18
  44 21.2 34.7 20.7
  197 40.1 124.1 49
  192 40.1 124.1 47.7
  268 45 156.3 59.4
3. Birk Comet BB, TV
v: Durano 451-28
h: Conti GP 4000S 622-23
90 28.6 63.1 31.4
  152 36.2 101.1 41.9
  200 40.6 127.2 49.1
  257 45.7 161.1 56.1
  319 49 185.3 64.9
4. Peregrin CH, UV
v: Schwalbe Kojak 406-35
h: Schwalbe Kojak 406-35
15 10.1 7.9 14.8
  53 20.1 31.2 26.3
  253 40.6 127.2 62.1
5. Peregrin CH, UV
v: Conti GP 406-28, spez.
h Conti GP 406-28, spez.
15 10.2 8 14.7
  50 20.2 31.5 24.7
  236 40.3 125.3 58.4
6. Peregrin CH, UV
v: Conti GP 406-28, spez.
h Conti GP 406-28, spez.
14 10.4 8.3 13.4
  45 20.1 31.2 22.3
  224 40.6 127.2 55

Graphische Auswertung durch Linearisierung des Gesamtwiderstandes

Die gemessenen Datenpunkte respektive deren Entsprechungen in Spalten 4 und 5 (v2 als X-Wert und P/v als Y-Wert) sind für 4 der 6 Messserien graphisch dargestellt. (Eine ähnliche Grafik zur einfachen Auswertung der Resultate wurde schon von David Linke auf Droplimits vorgeschlagen.)

graphische Darstellung zur Linearisierung der Fahrtwiderstände

Die benötigte Kraft zur Überwindung des Rollwiderstandes kann am Schnittpunkt der Regressionsgeraden mit der Y-Achse abgelesen werden. Denn auf der Y-Achse f(x=0) beträgt der X-Wert und damit die Geschwindigkeit immer "0", was soviel heisst, das ausschliesslich Kraft zur Überwindung des Rollwiderstandes aufgebracht werden muss.

Resultate

  cR cW * A
1. Birk Comet CH, UV,
v: Conti GP 406-28, spez
h: Conti Gatorskin 622-28
0.00306 0.197
2. Birk Comet CH, UV,
v: Conti GP 406-28, spez
h: Conti Gatorskin 622-28
0.00314 0.198
3. Birk Comet BB, TV
v: Durano 451-28
h: Conti GP 4000S 622-23
0.00673 0.157
4. Peregrin CH, UV
v: Schwalbe Kojak 406-35
h: Schwalbe Kojak 406-35
0.00483 0.233
5. Peregrin CH, UV
v: Conti GP 406-28, spez.
h Conti GP 406-28, spez.
0.00466 0.225
6. Peregrin CH, UV
v: Conti GP 406-28, spez.
h Conti GP 406-28, spez.
0.00412 0.208

Interpretation der Resultate

Aus diesen wenigen Messungen und den sich daraus ergebenden Resultaten können schon einige interessante Schlüsse gezogen werden:

...hinsichtlich der Messmethode:

  • Die Messung des Leistungsbedarfs bei verschiedenen Geschwindigkeiten mittels Powermeter (SRM , PowerTAP, etc. ) auf einer offenen Radrennbahn (Oerlikon, 333m ) liefert genügend genaue Werte, um gleichzeitig Aussagen über den Rollwiderstand als auch über den Luftwiderstand eines HPVs machen zu können.
  • Bedingt durch die niederen Leistungen bei 10 km/h (ca. 11 Watt) und der Anzeigegenauigkeit von einem Watt muss mit Ungenauigkeiten in der Grössenordnung von ca. 10% gerechnet werden. Dadurch wird es zwar schwierig, genaue Aussagen zum Rollwiderstand zu machen, andererseits ist der Einfluss von allfälligen Messungenauigkeiten auf den ermittelten Luftwiderstand wohl vernachlässigbar, weil der Rollwiderstand am Gesamtwiderstand bei höheren Geschwindigkeiten deutlich abnimmt.
  • Die so ermittelten Luftwiderstandswerte sind im Vergleich zu Widkanalmessungen nicht nur viel günstiger sondern auch entscheidend praxisnäher, da der Einfluss der Tretbewegung miteinbezogen werden kann.
  • Alle für die Messung relevanten Umwelteinflüsse wie Luftdruck, Temperatur, Reifendruck, etc.) sollten protokolliert werden, um Vergleichsmessungen andernorts zu ermöglichen.

...hinsichtlich Aerodynamik

  • Unverschalte Liegeräder mit moderater Sitzposition haben ohne Heckverschalung aber mit Scheibenrädern (UV) einen Cw * A Wert um 0.2 m2. Nimmt man eine projizierte Fläche A von ca. 0.25 m2 an, so ergibt sich ein Luftwiderstandsbeiwert cW um 0.8. Hier scheint also noch Potential für Detailverbesserungen vorhanden zu sein.
  • Eine gute Heckverschlung (Birk Comet) scheint den Luftwiderstandsbeiwert um ca. 25% zu senken.
  • Ein Scheibenrad vorne mit 28 mm Reifen scheint gegenüber einem unverschalten Vorderrad mit etwas breiterem Reifen (35 mm) den Luftwiderstand um mindestens 10% zu senken.

...hinsichtlich Rollwiderstand

  • Der Rollwiderstand eines Reifens ist neben der Temperatur und dem Pneudruck auch stark von der befahrenen Unterlage abhängig. Der ermittelte cR-Wert im Rennbahninnenraum und der Piste unterscheidet sich in der Grössenordnung von ca. 10%.
  • Erstaunlicherweise rollen die handgemachten Conti GP 406 Reifen ohne Pannenschutz nur geringfügig besser (ca. 10%) als die 406er Kojak-Reifen. Ob dies ausschliesslich auf den beobachteten Hochschlag von bis zu 2.5 mm zurückzuführen ist, müssen weitere Tests zeigen.
  • Die neuen ebenfalls handgefertigten 622-28mm Conti Gatorskin Specials, ohne Pannenschutz rollen wesentlich besser als die im letzen Jahr verwendeten Conti GP4000 RS.

 

Charles Henry, (dieser Artikel wurde am 18.6.2012 auf droplimits.de publiziert)