Die Liegeradkette
Charles Henry, 30. Juni 2007, aktualisiert: 31.5.2008
Allgemeines zu Fahrradketten
Ketten sind Antriebswunder
Selbst schmale Rennradketten können Zuglasten von bis zu einer Tonne aufnehmen. Dies ist z.B. dann nötig, wenn ein sportlicher Mountainbiker beim Anfahren mit ca. 1500 N an seinen 170 mm langen Tretkurbeln drückt und zieht und die Kraft auf das kleinste Kettenblatt mit 22 Zähnen und einem Radius von 45 mm übertragen wird. Die Zuglast auf die Kette beträgt dann 1500 * 0.170 / 0.045 = 5666 N. Das dabei entwickelte Drehmoment von 255 Nm entpricht demjenigen eines mittelgrossen Automotors.
Wenn es darum geht, einen möglichst grossen Teil der eingesetzten Tretarbeit effizient auf die Strasse zu bringen, sind Ketten, erste Wahl. 99% Wirkungsgrad ist bei gerader Kettenlinie, grossen Kettenrädern (> 20 Zähnen und optimaler Schmierung möglich. Bedenkt man dann das geringe Gewicht (250-300 g, 114 Glieder) und die lange Lebensdauer, so scheint eigentlich der ideale Fahrradantrieb schon gefunden (und dies schon seit ca. 130 Jahren), ... wäre da nicht der viele schwarze Dreck, der uns ständig plagt.
Bauarten
Fahrradketten sind sog. Rollenketten und haben (heute) immer eine Teilung von 1/2 Zoll (= ca. 12.7 mm). Die Breite der Kette variiert dagegen mit der Anzahl der zu schaltenden Kettenräder auf der Kassette. Ketten verschiedener Marken für dieselbe Anzahl Gänge können sich in der Breite und Funktion leicht unterscheiden, weshalb man in einem Antrieb nur genau einen Kettentyp einsetzen sollte (z.B. bei Liegerädern). Heutige Ketten werden hülsenlos gebaut, d.h. die beiden Innenlaschen einer Kette werden nicht durch eine Hülse zusammengehalten, sondern durch die vernieteten Aussenlaschen des nächsten Gliedes. Dies hat den Vorteil, dass das Schmiermittel leichter an die zu schmierenden Flächen gelangen kann.
Kettenverschlüsse
Die beiden Enden einer Kette können je nach Hersteller entweder durch Kettennieten (z.B. Shimano) permanent oder mittels speziellen Kettengliedern (SRAM, KMC) reversibel zu einem Endloskreis geschlossen werden. Meiner Erfahrung nach sind Kettenverschlüsse eine praktische Sache und absolut unproblematisch, sofern man nur die zur Kette passenden Verschlüsse verwendet.
Hersteller und Qualitäten
Die Hersteller (KMC, Shimano, SRM, Sedis, Yaban, Campagnolo, Rohloff) bieten Ketten in den verschiedensten Preisklassen und Qualitäten an. Ein hoher Preis ist aber nicht unbedingt auch ein Garant für die Langlebigkeit einer Kette. Auch eine teure rostfreie Kette leidet unter Dreck, Feuchtigkeit und schlechter Schmierung.
Kettenpflege
Lebensdauer
Die Lebensdauer einer Fahrradkette ist insbesondere von den Betriebsbedingungen (Feuchtigkeit, Salz, Schmierung), der Qualität und in weniger grossem Masse auch von der Belastung abhängig. Weil Liegeradketten länger sind als normale Fahrradketten, wird auch das einzelne Glied pro gefahrenen Kilometer weniger oft unter Last gebogen. Entsprechend können gut geschmierte Liegeradketten ein "Alter" von 10000 und mehr Kilometer erreichen.
Schmiermittel
Kettenschiermittel haben die Aufgabe, die Reibung und dadurch den Verschleiss zwischen den Bolzen (, die Kette zusammenhalten), den Rollen und den Laschen zu reduzieren. Andererseits schützen sie die Kette vor Korrosion (Rost). Grundsätzlich kann zwischen zwei Arten von Schmiermitteln unterschieden werden:
Ölbasierte Schmiermittel | nicht ölbasierte Schmiermittel | |
Zusammensetzung | Öle, syntetische Öle, mit und ohne Zusätze (Teflon, etc.) | Wachse, Parafine in Lösungsmittel gelöst, mit und ohne Zusätze |
Eignung |
sowohl für trockene als auch feuchte Bedingungen geeignet, da kaum wasserlöslich | vor allem für trockene Bedingungen geeignet. Bei Nässe verkürzt sich das Schmierintervall deutlich |
Verschmutzung | verschmutzen stärker, weil sie den Dreck anziehen | verschmutzen weniger; der Dreck löst sich z.T. mit Schmiermittel ab |
Schmierintervalle | lang | kurz |
Schmiereigenschaften | geringste Reibung, wenn sauber | geringe Reibung, wenn häüfig geschmiert |
Schalteigenschaften | schaltet weich und geräuscharm | schaltet ruckartiger und mit mehr Geräusch |
Im Herbst 2007 wurden durch VeloPlus 11 Kettenöle mit der Kettenöltestmaschine Petrus unter verschiedensten Bedingungen getestet.
http://www.veloplus.ch/pdf/fachinformation/petrus_test20071010163255.pdf
Allgemeine Erkenntnisse:
- Trockene oder dünnflüssige Schmiermittel ziehen weniger Sand an als dicke Öle
- Dickflüssige Öle halten bei Regen besser auf der Kette und haben dadurch längere Schmierintervalle
- Es gibt kein Schmiermittel, das bei allen Bedingungen top ist und auch lange hält.
Entfernen von Schmiermittel
Stark verschmutzte Ketten sollten in noch montiertem Zustand mit einem Lappen grob abgerieben werden. Nicht demontierbare Ketten können mit speziellen Reinigungsgeräten behelfsmässig gereinigt werden. Besser ist es in jedem Fall, die Kette zu demontieren und entweder mit Petrol oder einem bipolaren Lösungsmittel (Tensiden) wie z.B. Citruskettenreiniger zu "spühlen". Selbstverständlich darf man sich auch einen teuren Kettenentfetter leisten aber bitte nicht in einer Spraydose. Lösungsmittel und gelöste Teile dürfen niemals in den Ablauf gegossen werden, sondern sind mit dem Müll zu entsorgen.
Mein Wartungstipp
Die nachfolgend beschriebene Methode reinigt stark verschmutzte Ketten gründlich, schonend und mehr oder weniger umweltverträglich. Es ist zu bedenken, dass eine solche Reinigung das Innere der Kette vollständig entfettet und deshalb bei ungenügender Schmierung mehr schadet als nützt.
- Kette demontieren (mit Latexhandschuhen) und auf eine bereitgelegte Zeitung legen.
- Kette in Gurkenglas legen, ca. 100 ml Petrol dazugeben, Deckel schliessen und schwenken.
- Kette abtropfen lassen und mit Lappen abtrocknen.
- Kette wenn vorhanden sofort mit Pressluft ausblasen oder über Nacht trocknen lassen (Zeitung als Unterlage verwenden).
- Trockene Kette wieder montieren.
- Innenseite der zurücklaufenden Kette nur auf einer Laschenseite von oben mit reichlich neuem Schmiermittel versehen und Kette mit Pedale durchdrehen. (Beidseitiges Ölen behindert das Eindringen des Öls ins Innere). Kette durch Lappen ziehen, um überschüssiges Schmiermittel zu entfernen. Schmierung nach erster Fahrt wiederholen.
- Bis zur nächsten Kettenreinigung senken sich die öligen Bestandteile im Gurkenglas ab, das gravitativ gereinigte Petrol kann sorgfältig in ein anderes Glas umgelehrt und der Ölschlick kann mit Haushaltspapier oder Zeitung gebunden und entsorgt werden.
Verschleiss einer Kette überprüfen
Ist die aktuelle Länge einer Kette gegenüber der theoretischen Länge um mehr als 0.8 - 1% vergrössert (0.75 % bei Alukettenrädern, 1% bei Stahl), so gilt die Kette als verschliessen und sollte, um Schaden an Ritzeln und Kettenrädern zu vermeiden, ersetzt werden.
- Eine einfache Faustregel besagt, dass sich eine Kette nicht mehr als 5 mm vom grössten vorderen Kettenblatt abheben lassen darf.
- Mit einer Schiebelehre lässt sich der Kettenverschleiss mit etwas Aufwand genauer bestimmen:
- Schiebelehre auf 118 mm einstellen und zwischen 11 Rollen der Kette einfahren
- Öffnen der Lehre bis die Messchenkel an den Rollen anstehen
- Bei einer neuen Kette sollte die Distanz ca. 119.5 mm betragen
- Ist die Distanz grösser als 120.5 mm (Längung ca. 0.8%), so sollte die Kette ausgetauscht werden.
- Mit Spezialmessgeräten lässt sich der Kettenverschleiss einfach und genau bestimmen (z.B. Rohloff Caliber 2 oder CC-2 Chain Checker Park Tool)
Neumontage einer Liegeradkette
Die Länge einer Liegeradkette beträgt meist ca. das Zweieinhalbfache einer normalen Fahrradkette mit 114 Gliedern. Trotz den hohen Kosten sollte man aber nicht zögern, eine verschlissene Kette zu ersetzen.
Kettenlänge für Wechslerschaltungen bestimmen
- Wird eine alte Kette ersetzt, so soll ihre Länge in Anzahl Gliedern notiert werden (Beim Messen mit einem Metermass ist zu beachten, dass die neue Kette bei gleicher Anzahl Glieder einige Millimeter kürzer sein kann).
- Die richtige Kettenlänge kann mit folgender Formel bestimmt werden:
Lk = 0.157 * a + 0.5 * Z1 + 0.5 * Z2 + 2 wobei:- a = Abstand Tretlager zu Hinterachse
- Z1 = Zähnezahl grösstes Kettenblatt
- Z2 = Zähnezahl grösstes Ritzel
- Lk = Anzahl Kettenglieder (auf gerade Zahl Kettenglieder aufrunden)
- oder wenn mehrere Ketten schon zu einer Liegeradkette zusammengesetzt sind: vorne auf grösstes Kettenblatt, hinten auf grösstes Ritzel schalten, Kette spannen und mindestens 2 Kettenglieder (entspricht 1" = 25.4 mm) dazugeben.
Ketten zusammenfügen
Wer verhindern möchte, dass er sich eine Narrenkappe anziehen muss, überlege genau, wo vor dem Verschliessen einer Kette, diese überall durchgeführt werden muss.
Bei Hinterradantrieben mit einer Kette (, welche oft über eine Kettenrolle geführt wird, ) müssen meist 3 Fahrradketten zu einer Liegeradkette zusammengefügt werden. Bei Shimano-Ketten geschieht dies mit einer beigelgten Kettenniete, die mittels einem Kettennietendrücker eingedrückt und dann abgebrochen wird. Bei Ketten, die spezielle Kettenverschlussglieder benützen, müssen bestehende Kettennieten soweit hinausgedrückt werden, bis sie nur noch am Ende in der einen Lasche stecken. Dann kann das andere Ende der Kette eingeführt und die Kettenniete zurückgedrückt werden. Da dieses Verfahren mit einer leichten Schwächung der Kettenfestigkeit einhergeht und zudem einiges Geschick erfordert, wird von Kettenherstellern davon abgeraten.