Rekordwochenende 28./29. Juli auf dem DEKRA-Oval in in der Lausitz

Die "Vorbereitung"

Die WM 2012 in England hatte ja ohne mich stattgefunden und permanent schlechtes Wetter und ein strapazierter Terminkalender hatten bisher kaum vollverschaltes Fahren zugelassen. Ich war deshalb sehr erleichtert zu vernehmen, dass am Vortag der Abreise nun endlich die offene Rennbahn Oerlikon verfügbar war, um das diesjährige Setup des PoB (Pergrin on Birk) einzustellen. Das Ziel, eine halbe Stunde im 70er Schnitt zu fahren, um das geänderte Fahrwerk und die Wirksamkeit der Belüftung der neuen Kopfverschalung unter Belastung zu testen, musste aufgegeben werden, als sich Gummigeruch im Cockpit ausbreitete. Nur geringe Schleifspuren an der Reifenflanke und ein spürbares Bremsen in den Kurven ab Tempo 65 km/h liessen vermuten, dass zu wenig Druck im Dämpfer ist. Da ich aber keinen Last-Minute Abflug riskieren wollte, packten wir wieder zusammen. Aussagen, welche der beiden Kofpverschalungen nun die bessere sei und die Frage, ob die (Scheiben-)Lüftung tatsächlich nachhaltig funktioniert, konnte verhängnisvollerweise nicht geklärt werden.

Die Anfahrt

Als ich meinen Helfer Röbi Stolz am Freitagmorgen im Hof seines Fahrradgeschäftes traf, war der  One-Man-Blues, welcher mich in der letzten Zeit immer häufiger heimgesucht hatte, bald verflogen. Existenzielle Fragen wie "warum tut man sich das an, statt mit der Familie per Bahn gemütlich in die Ferien zu fahren?" konnten nun in aller Tiefe zwischen Winterthur und der Landesgrenze besprochen werden. Dank einem besonders pflichtbewussten Deutschen Zollbeamten wissen wir jetzt auch, wozu ein Vormerkschein gut ist und haben Gewissheit, dass es sich beim PoB um keinen Sportartikel handelt. Mit einiger Verspätung aber diesmal im ersten Anlauf fanden wir den richtigen Weg an Nürnberg vorbei. Im Osten war der Verkehr dann eher flüssiger. Eine Darminfektion und zu wenig Schlaf in den letzten Tagen hatten ihre Spuren hinterlassen. Ich war müde und froh, als wir vor dem Hotel LuKas in Schwarzheide parkieren konnten. Noch vor dem Nachtessen gingen wir die ToDo-Liste durch und legten Strategien fest, wann wir bei welchen Vorgaben des Zeitplanes und unter welchen Wetterbedingungen morgen den 6 Stunden oder den 12 Stunden oder evtl. doch beide Rekorde in gleicher Priorität versuchen sollten. Danach setzten wir uns bei 30° an einen Tisch auf der Terasse und genossen das wunderbare Nachtessen und erfreuten uns an der Ruhe und Beschaulichkeit dieser Hauptstrasse hier im Osten.

Vor dem DEKRA-Oval

Nach dem üppigen Morgenessen (meiner Verdauung sei gedankt) blieb noch genügend Zeit, um weiteres Essen für die nächsten Tage einzukaufen und um die Gemeinde Lauchhammer etwas zu erkunden: eine alte Lokomotive, ein Park mit schönen Bäumen, ein See mit Seerosen und ein authentisches Dorfzentrum.

Um ca. 3 Uhr bogen wir auf den Parkplatz vor dem DEKRA-Oval ein. Daniel Fenn war gerade damit beschäftigt, unter den fachkundigen Augen der Polizei die Spur seines EVO K einzustellen, welches von Bernd Paul gefahren werden sollte. Später als wir unser PoB zum Polieren und Wachsen der Vorderhälfte mit den potentiell laminaren Bereichen ausgepackt hatten, gesellte sich Eggert Bülk und Begleiter mit Christians repariertem Milan SL auf dem Dach seines Mercedes dazu. Als Fahrer konnte kurzfristig Wulf Kraneis aufgeboten werden. Etwas wehmütig dachte ich daran, wie schön es doch wäre, einmal trainiert oder wenigstens nicht müde vom Bauen in ein fahrfertiges Velomobil einsteigen zu können...

Um ca. 17:00 eröffnete Heike Bunte das Briefing: Bevor ein Fahrzeug auf der Strecke zugelassen werde, müsse es von den HPV-Offiziellen inspiziert und regelkonform erklärt werden. Kameras und Handys mussten abgegeben werden, weil nicht riskiert werden konnte, irgendwelche Erlkönige, Elfen oder andere Fabelwesen auf dem Oval zu erschrecken, was unverzüglich den Ausschluss aus dem Paradies bedeutet hätte. Vorerst bin ich aber selbst erschrocken, als ich vergeblich das Auto starten wollte. Ein Marder hatte offensichtlich ganze Arbeit geleistet. Dank Eggerts Mercedes und meiner Voraussicht, das Starterkabel einzupacken, konnten wir schliesslich mit etwas Verspätung in den Innenraum einfahren.

Auf dem Oval

Da lag es nun das Oval. 2 ca. 3 km lange Geraden verbunden durch zwei 180° überhöhte Kurven, die sich in der feuchten Hitze flimmernd eben noch vor dem Horizont erahnen liessen. Auf der zweiten Trainingsrunde, erreichte ich ohne allzu grosse Anstrengung 85 km/h Spitze. Die angekündigten Gewitter liessen auf sich warten, und es war praktisch windstill. "Wenn nicht hier und jetzt wann dann?" dachte ich und um 19:18 wurde ich von Röbi für den 6h und den bei der UMCA angemeldeten 12h-Rekord gestartet. Die erste Runde absolvierte ich mit 65 km/h, wobei ich darauf achtete, nicht allzu sauer zu werden. Neben mir waren noch Kirstin im gelben Milan mit ca. 40 km/h und Bernd Paul mit dem schnellen Evo K mit geschätzten 60 km/h unterwegs. Ich verzichte zuerst darauf, die Kurven eng zu fahren und benutzte lieber die Neigung weiter aussen an der ersten Linie. Das PoB lief ruhig über den perfekten Belag. Die Geschwindigkeit hatte sich bei ca. 75 km/h eingependelt und zu meinem Erstaunen brauchte ich kaum mehr als 200 Watt zu treten. Dank der neuen Lüftung (40mm Loch ganz vorne, flexibler 40 mm Lüftungsschlauch, verstellbare Düse) blieb es recht erträglich im Innern. Nach anderthalb Stunden hatte ich die erste der drei 1.5 Liter Flaschen mit Maltodextrin-Lösung schon leergetrunken. Nach Sonnenuntergang hatte man mir signalisiert, das Licht einzuschalten; keine einfache Sache, einen Stecker einhändig zusammenzustecken. Zwei Kaninchen sprangen vor mir über die Strecke und verschwanden im Scheitel der Ostkurve; ich konnte sie trotz der vermeintlichen 12 Watt Beleuchtung nur schemenhaft erkennen. Die kühlere Aussentemperatur und die hohe Luftfeuchtigkeit hatten dazu geführt, dass die Plexischeibe von unten zu beschlagen begann. Der anfänglichen Hoffnung, den Rekord verbessern zu können, folgten nun die Zweifel. Mit dem Klarsichttuch musste ich jede Runde mehrmals die Scheibe abwischen. Ich konnte zwar die Geschwindigkeit einigermassen halten, aber die Aussicht so noch fast 4 Stunden fahren zu müssen, frustrierte mich derart, dass ich nach 2 Stunden, 18 Minuten und 32 Runden aufgab.

Am morgen wurden wir um ca. 7 Uhr von Eggert geweckt. -Kirsten Niederlein sei kurz davor, einen neuen 12-Stundenrekord aufzustellen. Da wollten wir natürlich auch dabei sein. Bernd hatte schon im Verlauf der Nacht aufgegeben, weil die Sitzposition nicht stimmte. Wulf war wegen mangelndem Training schon früher ausgestiegen.

Aufgrund des aufkommenden Windes, war es schwieriger geworden, das PoB jenseits der 65 km/h auf gerader Linie zu halten, weswegen an einen erneuten Rekordversuch nicht mehr zu denken war.

Einige Einsichten, kritische Fragen, Beurteilungen und Dank...

...zu unserem Auftritt:

  • Ich bin enttäuscht darüber, dass es mit dem 6-Stundenrekord nicht geklappt hat. Die Basis für den anschliessenden 12 Stundenrekord war somit auch nicht gegeben. Ich selbst war psychisch und physisch nicht fit genug, das ganze trotz Schwierigkeiten durchzubeissen.
  • Das PoB war ungenügend vorbereitet. Beschlagende Scheiben und schlechtes Licht dürfen nicht vorkommen.
  • Ich brauche dringend mehr Fahrpraxis im VV, nötigenfalls eben auch auf öffentlichen Strassen.
  • Der abgebrochene Rekordversuch hat jedoch gezeigt, dass das PoB das Potential hat, den 6 Stunden Rekord zu verbessern
  • Die Leistungsgrenze des PoB ist damit aber noch nicht erreicht: Effektivere Lüftung, bessere (Vorder-)Reifen, aerodynamische Detailverbesserungen, zuverlässige Lichtanlage, optimierte Lenkgeometrie und Bordkommunikation stehen hier im Mittelpunkt.

...zu den Teilnehmenden

Die meisten der Teilnehmenden waren in die Lausitz gekommen, um Erfahrungen zu sammeln, obschon sie sich kaum reelle Chancen auf einen Rekord ausrechnen konnten. Ein Trend, den man bei zukünftigen Veranstaltungen unbedingt berücksichtigen sollte...

  • Daniel Fenn mit dem EVO K und Fahrer Bernd Paul konnten das Potential dieses VM(-Typs) mit vernünftiger Sitzposition eindrücklich zeigen. Bezüglich Fahrleistung steht es dem Milan SL in keiner Weise nach. Daniel ist positiv ansteckend und voll innovativer Energie. -Eben ein Düsentrieb!
  • Jan van Steg und Pieter Pas haben einen funktionierend einfachen Ausweg aus der Camera-Bike-Misere gefunden. Ihr Periskop ist erfolgverprechender als jedes elektronische System mit Ersatzmonitor und kann den Fahrer sogar kühlen statt ihn aufzuheizen. Fahrverhalten, Lenkgeometrie und der zu schwache Teilrahmen des Cygnus müssen noch verbessert werden, dann ist dieses Team zukünftig ein heisser Rekordanwärter.
  • Eggert Bülk hat bei der Reparatur des Milans von Christian ganze Arbeit geleistet, wobei er es sogar noch etwas kürzen konnte. Das Milan SL Konzept ist wirklich ausgereift, scheint aber auch an seine Leistungsgrenzen zu stossen.
  • Joggl und Lutz von gingko-spezialradteile.de hatten zwar kein eigenes Fahrzeug mitbgebracht, beweisen aber sehr viel Kompetenz, wenn es darum geht, HPVs optimal auszurüsten.
  • Barbara Buatois und ihr Helfer/Partner Julius Makuch sind mit einem Camera-Dreirad angereist, welches sie in der Schmiede von Georgy Georgijev (Varna) ausgegraben haben. Das Torso hat eine Spurbreite von weniger als 40 cm und ist enorm klein. Die nicht funktionierende Kamera wurde dank geübtem Schnitt von Daniel Fenn durch ein Guckloch in der Frontpartie ersetzt. Damit konnte die sympatische RAAM-Siegerin, wenigstens einige schnelle Runden drehen. An einen 24-Stunden Rekordversuch war nicht zu denken.
  • Für Serguej Dachewski dem HPV-Urgestein aus Krasnodar begann die Rekordfahrt durch die russischen Amtsstuben für ein Visum schon vor vier Wochen. Glasnost scheint offenbar endgültig vom neozaristischen Bären mit kommunistischen Manieren aufgefressen worden zu sein. Schliesslich gelang ihm eine Verbesserung des russischen Sprint Rekordes über 200-Meter auf 79 km/h. Trotzdem bewundern wir vor allem seine Ausdauer!
  • Kirstin Niederlein ist nach ihrer 12-Stunden Rekordfahrt mit 39 km-Schnitt dem Milan SL des Räderwerks entstiegen, als ob sie eben zur Arbeit gefahren wäre. Die Tatsache, dass es bei den Frauen Rekorden noch Luft nach oben gibt, könnte sich zukünftig als Segen für die Veranstaltung erweisen.

...zur Veranstaltung:

  • Trotz schwierigen äusseren Umständen (nochmalige Kürzung des Startfensters am Samstag, schlechte Wetteransage) gelang es den Offiziellen von hpv.rg unter straffer aber charmanter Führung von Heike Bunte, die bestmöglichen Bedingungen für die Teilnehmenden zu schaffen.
  • Die Finanzierung der Veranstaltung scheint nach wie vor nicht gesichert. Man kann von den HPV-Beobachtern, welche ihre Freizeit hergeben, nicht auch noch erwarten, dass sie die Anfahrt selbst bezahlen. Wieso also nicht von jedem angemedeten Team einen Beitrag von mindestens 100 Euro einziehen. Anreise, Übernachtung und Verpflegung kosten ein zig-faches, die Vorbereitung der HPVs nicht eingerechnet. Dafür wird ja auch eine interessante Plattform geboten, wie die Erfolgsgeschichte des Milan zeigt.
  • Der Aufwand für die Offiziellen (HPV-Beobachter) ist durch die UMCA-Rekordversuche nochmals beträchtlich gestiegen. Es gilt, sich zwischen Aufwand und Ertrag (Anerkennung der Langstreckenrekorde in Radfahrerkreisen) zu entscheiden. Man betreibt übrigens dadurch auch Öffentlichkeitsarbeit, die auch den Vereinen etwas Wert sein sollte .
  • Der Rahmen der Veranstaltung sollte unbedingt überdacht werden. Insbesondere das Wetter kann einen dicken Strich durch die Rechnung machen. Einige Vorschläge:
    • Die Trennung zwischen schnellen und langen Rekordversuchen finde ich unglücklich. Sie bedeutet Mehraufwand für die Offiziellen und teilt die Szene, und Ausnahmen mussten dennoch gemacht werden.
    • Ich weiss: Battle Mountain ist nicht Lausitz aber vielleicht könnte man trotzdem versuchen, die ganze Veranstaltung z.B. auf vier Tage auszudehnen: 2 Tage zusätzliches Training für die früher Angereisten inkl. abendliche Rekordfahrten, 200-Meter und eine Stunde, alles nach Vorgaben der DEKRA. Es müssten nur wenige Offizielle vor Ort sein. Gefolgt von zwei vollen Tagen mit Rekordversuchen, wobei evtl. auch mit weniger HPV-Beobachtern auszukommen wäre. Die Strecke ist übersichtlich und Windschattenfahren bringt bei Vollverschalten kaum etwas, weil die laminare Strömung verloren geht. Dass es offenbar möglich ist, mit nur einem Beobachter einen Rekord zu registrieren, hat Martin Staubach beim 6H-Rekord von Axel Fehlau 2010 gezeigt. Versuche nach UMCA wären dann nicht mehr möglich, ausser diese würden seitens der Teilnehmenden organisiert.
    • Es sollte versucht werden, mind. noch einen zusätzlichen gemeinsamen Trainingstermin für alle vor den Rekordfahrten zu organisieren. Auch hier bräuchte es keine HPV-Beobachter. Alternativ könnte von hpv.org und DEKRA ein Prozedere definiert werden, wie man als Team oder mehrere Teams zusammen einen Trainingstermin beantragen könnte, ohne der Veranstaltung zu schaden.
    • Niederlausitz und Spreewald sind auch sehr schöne Feriengebiete, die man im Rahmen der Veranstaltung besuchen könnte, wodurch das Event auch für Familienmitglieder attraktiver würde.
  • Die Resultate der Versuche sollten im WWW publiziert werden, selbst wenn die Ausbeute weniger spektakulär als erwartet (?) ausgefallen ist. Sie gehören einfach zu einer Veranstaltung und man kann nicht damit rechnen, dass droplimits.de wieder in die Bresche springt. Zusätzlich könnte sich jemand offiziell der Pressearbeit annehmen, sofern Publicity in dieser Sache von der DEKRA gebilligt wird.

 Mein Dank geht an...

  • alle HPV-Offiziellen und HPV-Beobachter für ihren unermüdlichen Einsatz und im speziellen an diejenigen, die sich extra als UMCA-Beobachter ausbilden liessen (Jessie, Thomas, Hubert, Patrik, Carsten, Christoph).
  • Frau Haubold für ihre organisatorische Leistung und ihr Engagement für unsere Sache in ihrer Freizeit und der Firma DEKRA, dass sie uns diese einmalige Möglichkeit schon zum dritten Mal geboten hat.
  • Gerard Ahrens für die tadellose Zeitmessung und seine Flexibilität, die den gestressten Fahrern ein enormer Rückhalt war.
  • Jörg Basler für seine schönen Bilder auf http://www.droplimits.de/index.php/langstrecken.html.
  • meinen persönlichen Helfer Röbi Stolz für die kompetente Unterstützung und die geistreichen Gespräche während der weniger geistreichen Autobahnfahrt.
  • meine Familie, für ihr Verständnis und ihre Geduld, die es mir erlauben, solch "schräge" Sachen zu machen.

 

Charles Henry, 1. August 2012

 

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